Agripath: Wegbereiter für nachhaltige Landwirtschaft

Agripath: Wegbereiter für nachhaltige Landwirtschaft

Lesezeit: 5min |

Heute hatte ich das Vergnügen mit einem spannenden Gesprächspartner zu diskutieren: Mirko Reul, Postdoc an der Universität Lausanne, begleitet derzeit das Projekt Agripath wissenschaftlich und hatte einige spannende Insights parat, wie man digitale, grüne Lösungen einführt und damit Verhaltensänderungen erreicht – was gut funktioniert und was nicht. Eine entscheidende Frage bei jeder Innovation.

Hier eine Zusammenfassung und die wichtigsten Learnings aus dem spannenden Gespräch über die Einführung grüner Innovationen:

Über Agripath

Agripath ist ein Forschungsprojekt, das digitale Werkzeuge nutzt, um nachhaltige Landwirtschaft vor allem bei Kleinbauern im globalen Süden zu fördern. Kleinbauern stehen im Fokus, da sie für etwa 70% der weltweiten Nahrungsmittelproduktion verantwortlich sind. Der von Mirko geleitete Teil des Projekts nutzt Schulungen und andere Maßnahmen, um Landwirte zu motivieren, nachhaltigere und klimaresistentere Praktiken anzuwenden. Ein konkretes Beispiel dafür ist das „Mulchen“, das Bedecken des Bodens mit organischem Material, um die Bodenfruchtbarkeit zu erhöhen und so die Bodenerosion zu verhindern und das Land ökologisch nutzbar zu halten.

Herausforderungen und Lösungen

Wie man sich vorstellen kann, sind bei der Einführung und der Zusammenarbeit mit Landwirten in Ländern wie Indien viele Herausforderungen aufgetreten. Gerade aus europäischer Perspektive waren sie zunächst oft schwer nachvollziehbar.

Auf den zweiten Blick macht es Sinn: Vor Ort sind die Rahmenbedingungen völlig anders und die Kleinbauern haben andere Vorkenntnisse, Überzeugungen und Entscheidungsprozesse, die von Außenstehenden erst erlernt werden müssen. So sind Entscheidungsprozesse bei Kleinbauern oft familiär und damit männlich geprägt.

Das vorherrschende Misstrauen gegenüber Informationen und Hilfe von Außenstehenden ist dabei ein immer wiederkehrendes Muster, das Mirko auch in anderen Forschungsprojekten beobachtet hat. Er beschäftigt sich daher intensiv damit, wie gut gemeinte, hilfreiche Informationen kommuniziert und untermauert werden müssen, um im Alltag akzeptiert und genutzt zu werden. Die wichtigsten Bausteine sind dabei

  • Anreize für nachhaltige Praktiken schaffen: Viele Kleinbauern zögern, ihre gewohnten Methoden zu ändern, weil sie kurzfristige Ertragseinbußen befürchten. Ein konkretes Beispiel ist die Sorge um die anfängliche Produktivität bei der Umstellung auf organischen Dünger. Mögliche Lösungen sind finanzielle Anreize und die Bereitstellung von Mikrokrediten für den Kauf nachhaltigerer Geräte.
  • Nachhaltige Verhaltensänderungen: Ein zentrales Problem ist die dauerhafte Verhaltensänderung der Kleinbauern hin zu nachhaltigeren Praktiken. Ein Beispiel ist der Widerstand gegen die Umstellung von klimaschädlichen, Düngemitteln auf nachhaltige, organische Düngemittel aufgrund mangelnden Vertrauens in deren Wirksamkeit. Ein subventioniertes Verteilen von organischen Düngemitteln mag zwar kurzfristig helfen, in der Praxis sieht man jedoch häufig, dass nach Ende der Subventionen wieder der bewährte chemische Dünger verwandt wird.
  • Um dem entgegenzuwirken, setzen das Projekt Agripath auf Aufklärungskampagnen und Demonstrationsprojekte, die die Vorteile biologischer Methoden aufzeigen.
  • Sicherstellung der Glaubwürdigkeit von Informationen: Informationen, die Kleinbauern erreichen, stammen oft aus unbekannten Quellen mit eigenen kommerziellen Interessen, was zu Misstrauen führt. Agripath arbeitet daher mit lokalen Partnern – Nichtregierungsorganisationen und Bauern – zusammen und nutzt unabhängige, vertrauenswürdige Informationsquellen, um die Akzeptanz zu erhöhen.

Lifecycle-Diskussion zur Technologieübernahme

In der spannenden Diskussion über Verhaltensänderungen kamen wir auf den Technology Adoption Lifecycle, das Konzept „Crossing the Chasm“ und die Theorien der Early Adopters und der Early Majority (mehr Details im Buch Crossing the Chasm). Mirko betonte, dass Verhaltensänderungen unerlässlich sind, unabhängig von der Stärke der Innovation selbst. Jede bedeutsame Innovation braucht die Unterstützung der „Mehrheit“ – sonst hat sie nur eine geringe Wirkung. Während Early Adopter bereits offen für Innovationen sind, sind die Early und Late Majority konservativer und müssen oft erst mühsam überzeugt werden, ihr Verhalten zu ändern.

Illustrate eraly adopter theory
Jurgen Appelo | Management 3.0

Mirkos Optimismus und die Forschungsergebnisse

Trotz der Herausforderungen ist Mirko optimistisch, dass neben Innovationen auch Verhaltensänderungen wichtig sind, um den Planeten zu retten. Er verweist auf Forschungsergebnisse und Studien wie diesen Artikel von Constantino et al. , der zeigt, dass Verhaltensänderungen möglich sind, auch wenn sie schwer messbar sind und oft erst mit Verzögerung eintreten.

Die Studien konzentrieren sich auf öffentlich geförderte Projekte. Für grüne Innovatoren, die ihre Produkte und Lösungen erfolgreich am Markt etablieren wollen, bieten die von Mirko hervorgehobenen Studien dennoch konkrete Tipps:

  • Den lokalen Kontext verstehen: Es ist entscheidend, ein tiefes Verständnis für den lokalen Kontext – also den Kunden bzw. Nutzer – zu entwickeln, in dem die Produkte oder Lösungen eingeführt werden sollen. Dies beinhaltet die Berücksichtigung kultureller, sozialer und wirtschaftlicher Faktoren, die das Verhalten und die Einstellungen der Zielgruppe beeinflussen.
  • Dynamische Normen aufzeigen: Um Verhaltensänderungen zu motivieren, können Grüne Innovatoren dynamische Normen nutzen, d.h. Informationen darüber, wie sich Verhaltensweisen in der Gesellschaft im Laufe der Zeit verändern. Beispielsweise kann die Kommunikation eines wachsenden Trends hin zu umweltfreundlicheren Produkten oder Praktiken andere ermutigen, diesem Beispiel zu folgen.
  • Schaffung und Nutzung von Tipping Points: Politische Maßnahmen und Kampagnen können dazu beitragen, Wendepunkte in der öffentlichen Meinung und im Verhalten zu schaffen. Grüne Innovatoren sollten darauf abzielen, solche Tipping Points zu erkennen und zu nutzen, um eine breite Akzeptanz und Unterstützung für ihre Produkte und Lösungen zu erreichen.

Wichtige Erkenntnisse aus der Gründerreise

Die Forschung von Mirko ist für grüne Innovatoren und Gründer entscheidend, um ihre Produkte und Dienstleistungen erfolgreich am Markt zu etablieren. Daraus lassen sich grundlegende Erkenntnisse ableiten, wie die Adoption nicht nur im Globalen Süden erfolgen kann.

Eine zentrale Erkenntnis aus dem Agripath-Projekt und meinem Gespräch mit Mirko ist die Herausforderung der Verhaltensänderung, insbesondere wenn man als Außenstehender versucht, etwas Neues einzuführen. Es ist nicht effektiv, Lösungen, die in westlichen Ländern entwickelt wurden, einfach 1:1 auf andere Länder zu übertragen. Stattdessen ist es entscheidend, die Menschen vor Ort aktiv in den Lösungsfindungsprozess einzubeziehen.

Durch das Verstehen ihrer Ideen und Meinungen – des Marktes – können die relevantesten Probleme identifiziert und Lösungen entwickelt werden, die eine höhere Akzeptanz und Effektivität bei der Umsetzung gewährleisten.

Fokus auf Early Adopters mit Blick auf die breite Masse

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die anfängliche Konzentration auf Early Adopters, d.h. Personen, die neuen Technologien und Methoden gegenüber aufgeschlossen sind. Diese Gruppe kann als Katalysator für eine breitere Akzeptanz und Einführung wirken. Es reicht jedoch nicht aus, sich ausschließlich auf diese Gruppe zu konzentrieren. Es ist ebenso wichtig, Strategien zu entwickeln, um die Mehrheit zu erreichen, die eher konservativ ist und sich an bewährten Praktiken orientiert. Diese Mehrheit sucht nach Lösungen, die sich in der Praxis bewährt haben und ihr Leben nachweislich verbessern. Ein Verständnis dieser Dynamik ist entscheidend, um Verhaltensänderungen auf breiter Ebene zu erreichen und umzusetzen.

Die Überbrückung der Kluft zwischen innovativen Lösungen und ihrer breiten Akzeptanz erfordert ein tiefes Verständnis der Zielgruppe. Dazu gehört ein Bewusstsein für die Herausforderungen und Widerstände, die mit Verhaltensänderungen verbunden sind. Die Theorie aus dem Klassiker Crossing the Chasm bietet hier wertvolle Einblicke und ich kann sie nur jedem empfehlen, der an der breiten Einführung eines Produktes oder einer Dienstleistung arbeitet. Es ist wichtig, Lösungen zu entwickeln, die nicht nur neu und innovativ sind (und damit Early Adopters ansprechen), sondern auch einen praktischen Nutzen für die Nutzer haben und leicht in den Alltag integriert werden können (und damit die Early Majority ansprechen). Eine bewährte Strategie ist die auch im Buch vorgestellte Beach Head Strategy, die ich in einem andere Post einmal beleuchten werde.

Wie kannst du Mirko helfen?

Um effektiv helfen zu können, ist es wichtig, Netzwerke und ähnliche Projekte zu kennen. Mirko betont die Wichtigkeit von Vernetzung und Wissensaustausch, um gemeinsam effektive Lösungen für die Herausforderungen in der Landwirtschaft zu entwickeln. Wenn du jemanden kennst, der etwas Ähnliches macht oder in einem ähnlichen Bereich aktiv ist, schreibe mir gerne eine kurze Mail in LinkedIn.

Zum Abschluss: Das große Ganze


Der Wandel in der Landwirtschaft in den kommenden Jahrzehnten ist von entscheidender Bedeutung, insbesondere angesichts der wachsenden Weltbevölkerung und der Herausforderungen durch den Klimawandel. Es ist wichtig, dass Kleinbauern, die einen erheblichen Anteil an der weltweiten Nahrungsmittelversorgung haben, widerstandsfähiger gegenüber klimatischen Veränderungen werden und nachhaltigere Anbaumethoden anwenden.

Mirko reflektierte über die Zukunft der Landwirtschaft, insbesondere in Indien, wo die zunehmende Fragmentierung kleiner landwirtschaftlicher Betriebe durch Vererbung an mehrere Kinder die Effizienz beeinträchtigt. Er stellte die Frage, wie Nahrungsmittel in 10 bis 20 Jahren angebaut werden und ob eine Zunahme der Massenproduktion zu erwarten sei. Es sei wahrscheinlich, dass sich junge Menschen aufgrund der harten Arbeitsbedingungen und der schlechten Bezahlung in der Landwirtschaft anderen Tätigkeiten zuwenden würden.

Dies könnte mittelfristig zu einer effizienteren, aber weniger nachhaltigen Bewirtschaftung durch Massenproduktion führen. Auch wenn es dadurch leichter wird, nachhaltige Standards zu etablieren, ergeben sich in dem Zuge neue Herausforderungen.

Mirko Reul, Doktor der Politikwissenschaft, hat in seiner Jugend als Gärtner gejobbt und seinen „schlimmsten Job“ als Retourenbearbeiter in einem Logistikzentrum erlebt – die Monotonie und Langeweile hat er gerne aufgegeben. Heute arbeitet er als Postdoktorand im Projekt Agripath daran, Landwirte zu nachhaltigeren und klimaresistenteren Anbaumethoden zu bewegen.

Mirko empfiehlt das Buch „Seeing like a state: How Certain Schemes to Improve the Human Condition Have Failed“ von James Scott. Das Buch bietet einen tiefen Einblick in die Komplexität von Regierungsführung und Sozialreformen. Scott analysiert darin, wie gut gemeinte, aber zentral von oben nach unten umgesetzte Projekte oft scheitern, weil sie lokale Gegebenheiten und die Dynamik menschlichen Verhaltens nicht berücksichtigen können.

 Transparenz-Hinweis: Text und Bilder auf dieser Seite wurden mit Hilfe von AI erstellt.
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